Neutralitätsgesetz

Jetzt den Antrag auf Mitgliederentscheid unterstützen!

Ich bin Mitglied im Berliner Landesverband der Partei DIE LINKE und beantrage beim Landesvorstand, nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2021 einen Mitgliederentscheid durchzuführen über folgenden Abstimmungstext:

 

„DIE LINKE Berlin steht für die Trennung von Staat und Religion. Dazu gehört die weltanschauliche und religiöse Neutralitätspflicht aller Beschäftigten des Landes Berlin, die in den Bereichen der Rechtspflege, des Justizvollzugs und der Polizei tätig sind, sowie der Lehrkräfte und der anderen Beschäftigten mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz. Dies beinhaltet auch die Pflicht, innerhalb des Dienstes auf das Tragen sichtbarer religiöser oder weltanschaulicher Symbole und auffallender religiös oder weltanschaulich geprägter Kleidungsstücke zu verzichten.

DIE LINKE Berlin hält an diesem Prinzip fest. Sie steht deshalb weiterhin zum Berliner Neutralitätsgesetz und tritt dafür ein, den Geltungsrahmen des Gesetzes so groß wie möglich zu gestalten.“

 


Begründung:

Die weltanschauliche und religiöse Neutralität des Staates ist eine herausragende gesellschaftliche Errungenschaft. Das Berliner Neutralitätsgesetz verkörpert dieses Prinzip auf vorbildliche Weise. Es schreibt vor, dass Beschäftigte des Landes in den Bereichen, in denen die Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen sind, „innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole […] und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen [dürfen].“

Es ist ausdrücklich kein „Kopftuchverbot“. Das Gesetz untersagt die Zurschaustellung aller Symbole und Kleidungsstücke aller Religionen und Weltanschauungen. Seine Geltung umfasst nur die Bereiche der Rechtspflege, des Justizvollzugs, der Polizei und der öffentlichen Schulen – alles besondere Bereiche, in denen Menschen sich dem staatlichen Einfluss nicht entziehen können und daher grundlegend, ja teilweise in existenziellem Maße, auf die Neutralität der Staatsbediensteten angewiesen sind.

Dennoch wird in unserer Landespartei bereits seit einigen Jahren eine intensive Debatte über das Neutralitätsgesetz geführt. Die Positionen reichen von einer vollständigen Erhaltung oder sogar Erweiterung des Gesetzes bis zu einer teilweisen oder vollständigen Abschaffung.

Die Diskussion wirft sehr prinzipielle gesellschaftspolitische Fragen nach dem Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Religion auf. Welchen Platz soll Religion in der Gesellschaft einnehmen? In welchem Maße darf der Staat sich mit Religionen identifizieren, sie in seinem Dienst fördern und in sich aufnehmen, ohne seine Neutralitätspflicht zu verletzen? Durch welche gesetzlichen Regelungen wird der religiösen und weltanschaulichen Neutralität am besten zur Geltung verholfen? Wie weit darf die Ausübung der Religionsfreiheit reichen und wo ist eine dienstliche Zurückhaltung zumutbar, insbesondere im Interesse derjenigen, die der Staatsgewalt unterworfen sind? Diese und andere Fragen laufen in der Debatte um das Berliner Neutralitätsgesetz zusammen.

Parallel gibt es Prozesse in der Rechtsprechung, die Berücksichtigung erfordern. Diese beziehen sich zumeist auf den Schuldienst, wo es bereits mehrfach Klagen von Lehramtsanwärterinnen gab, die während des Unterrichts nicht auf das Tragen eines Kopftuchs verzichten wollten. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war uneinheitlich. Während der Zweite Senat 2003 dem Landesgesetzgeber noch weiten Spielraum bei der Regelung dieser Materie zugestand, hat der Erste Senat 2015 ein pauschales Verbot religiöser Kleidung für verfassungswidrig befunden. Der Europäische Gerichtshof hat 2017 wiederum in Fällen aus der Privatwirtschaft Arbeitgebern gestattet, für ihren Betrieb ein religiös-weltanschauliches Neutralitätsgebot zu verfügen. Das Bundesarbeitsgericht entschied letztes Jahr, dass für die Anwendung des Neutralitätsgesetzes in den Schulen der Nachweis „einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität“ nötig sei – wobei strittig ist, wie genau ein solcher Nachweis aussehen soll. Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres kündigte daher jetzt an, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, um die Anwendung und ggf. Anpassungsbedarfe des Neutralitätsgesetzes endgültig klären zu lassen.

Die juristische Klärung wird den Geltungsrahmen des Neutralitätsgesetzes festziehen, aber sie kann nicht die politische Diskussion und Entscheidung darüber ersetzen, wie dieser Rahmen zu gestalten ist. Ein Beschluss über die Haltung der Berliner LINKEN in einer derart wichtigen Angelegenheit sollte jedoch nicht allein durch die Delegierten auf einem Landesparteitag getroffen werden. Vielmehr ist für eine eindeutige Positionierung die breite gleichberechtigte Beteiligung der gesamten Mitgliedschaft unseres Landesverbands erforderlich.

 

Vertrauensleute für den Mitgliederentscheid:

Roman Grabowski Marina Wehrsen Markus Wollina
Lichtenberg Tempelhof-Schöneberg Mitte